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Kapitel 5

Mit Hannes Zulaufs Serie Ohne Titel (Sugar Coating) wird die Ausstellungsreihe Home Stories zum 75-jährigen Jubiläum des Kunstmuseum Thun abgeschlossen. Die sieben Gemälde dieser als work in progress angelegten und in den Jahren 2021 bis 2022 entstandenen Serie umfasst bis heute rund 40 Werke. Dabei wird das Verbindende schnell deutlich: Eine eindringliche Rosafarbigkeit, die punktuell mit unterschiedlichen Weissanteilen abgetönt und fein lasierend oder in pastosen, schlierigen Pinselstrichen wie Zuckerguss auf die Leinwand aufgetragen worden ist. Durch ihre leuchtende Farbgebung erhalten die Bilder eine extrem süssliche, kaum erträgliche Komponente, die das Dargestellte seltsam verfremdet und einen ungewöhnlichen Blick auf Alltägliches ermöglicht: Bäume, Berge, Wälder, Strassen und Wolken erscheinen plötzlich irritierend fremd und ungewohnt.

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Hannes Zulauf, ohne Titel (Sugar Coating), Inv. 7221.1
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Hannes Zulauf, ohne Titel (Sugar Coating), Inv. 7221.2
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Hannes Zulauf, ohne Titel (Sugar Coating), Inv. 7221.3

Ohne Titel (Sugar Coating) kann als kritische Auseinandersetzung mit den Darstellungskonventionen der jahrhundertealten Tradition der Landschaftsmalerei betrachtet werden. Denn der Künstler betont nicht mehr das Dargestellte, sondern die Darstellung und macht sie dadurch als etwas Künstliches sichtbar. Zulauf begreift die Leinwand nicht wie Leon Battista Alberti in der Renaissance als Fenster zur Wirklichkeit, sondern bei ihm werden der Farbauftrag an sich und die Motivik thematisch. Der in Bern lebende Künstler reflektiert kritisch die Gattung der Landschaftsmalerei in der Landschaftsmalerei selbst. So wird etwa die romantische oder erhabene, von einem erhöhten Standpunkt aus festgehaltene Landschaft oder die sich vom Bildvordergrund bis hin zum Horizont schiebende Strasse als Konvention entlarvt, um die Tiefe des Bildraums zu betonen. Zudem erhalten die Bilder durch die Omnipräsenz der Farbe Pink etwas latent Unheimliches und Bedrohliches, das an verstrahlte und unbewohnbare Landschaften nach einem Atomschlag erinnert.

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Hannes Zulauf, ohne Titel (Sugar Coating), Inv. 7221.4
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Hannes Zulauf, ohne Titel (Sugar Coating), Inv. 7221.5
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Hannes Zulauf, ohne Titel (Sugar Coating), Inv. 7221.6
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Hannes Zulauf, ohne Titel (Sugar Coating), Inv. 7221.7

In der Sammlung des Kunstmuseum Thun gibt es weitere künstlerische Positionen, die sich in unterschiedlichen Medien mit dem Motiv der Landschaft auseinandersetzen und «eigene Welten» erschaffen. Obwohl in den Bildern dieser Künstler:innen immer noch die Möglichkeit eines Realbezugs besteht, können sie nirgendwo mehr verortet werden.

Die Künstlerin Monica Ursina Jäger setzt sich intensiv mit dem urbanen Raum auseinander. In ihren grossformatigen Zeichnungen erstellt sie dystopische Landschaften. Dabei greift sie auf gefundenes oder selbst erstelltes Bildmaterial  zurück, Fotografien realer Umgebungen und Bauten. Dieses Material kombiniert sie mithilfe schwarz-weisser Tusche zu unwirklichen, fast düster erscheinenden Welten zusammen.  

Erhabene, eisige Berglandschaften, erschaffen im Computer: das ist das Motiv von Rainer Eischs Arbeiten. Was auf den ersten Blick täuschend real wirkt, sind faktisch reine Fantasielandschaften. Ursprünglich Bildhauer, erstellt der aus Steffisburg stammende Künstler ab Mitte der 2000er-Jahre mithilfe von 3D-Programmen fiktive Gegenden, in denen er die Frage aufwirft, welche Wirklichkeiten die digitale Welt erschaffen kann. 

In Julian Charrières Videoarbeit wird ein Blick hinter die Kulissen geworfen: Das Resultat sind grossformatige Fotografien, die jeweils im Titel den Begriff Panorama und die Koordinaten des dargestellten Ortes tragen. Auf den ersten Blick erscheint es den Betrachtenden, als schauten sie auf Gebirgslandschaften. Doch gibt man die Koordinaten ein, erscheint irritierenderweise meist ein Ort mitten in einer städtischen Umgebung. Die Videoarbeit in unserer Sammlung löst die durch die Fotografien ausgelöste Verwirrung auf, indem sie den Entstehungsprozess der erfundenen Landschaften zeigt und das Thema der Täuschung der Grössenverhältnisse anschaulich macht. Auf Brachen streut Charrière über Anhäufung von Erde und Schutt feinen Mehlstaub und erweckt so den Eindruck verschneiter Berge. 

Schnelle Landschaft heisst das Werk von Max Matter. Dabei fokussiert der Aargauer Künstler auf die Farbenwelt. Fast abstrakt erscheint einem die mithilfe fotochemikalischer Experimente entstandene Fotografie, die an eine Landschaft in psychedelischen Farben erinnert, die teilweise ineinander übergehen, ausblühen oder Schlieren bilden. Doch bleibt der Titel des Werks ambivalent: Verweist er auf den schnellen Entstehungsprozess der Fotografie oder rührt er von der schnellen rezeptionsästhetischen Erfassung des Betrachters her. Nicht nur der Titel, sondern auch das Dargestellte muss letztlich offen bleiben und verweist lediglich noch auf die Selbstabbildung der Chemikalien auf dem Fotopapier.