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Kapitel 4

Durch die Schenkung von Marianne Baumann-Ingold kam auch Markus Raetz’ Berglandschaft in die Sammlung. Der vor drei Jahren verstorbene Berner gehörte zu den wichtigsten Schweizer Kunstschaffenden seiner Generation. Raetz war äusserst vielseitig, er arbeitete in den unterschiedlichsten Medien und Gattungen. Eines seiner bevorzugten Ausdrucksmittel war die Radierung. In diesem anspruchsvollen Tiefdruckverfahren, das von zeitgenössischen Kunstschaffenden nur noch selten angewendet wird, brachte er es zu grosser Meisterschaft. Dies spiegelt auch das vorliegende Blatt wider, wo Raetz sich in künstlerischer Hinsicht zwischen Klees abstrakter und Surbeks gegenständlicher Darstellungsweise positioniert.

Berglandschaft stellt eine imaginäre Landschaft dar, für die der Künstler insgesamt acht Zustandsdrucke mit unzähligen Varianten angefertigt hatte. Zwischen den einzelnen Zuständen ergänzte er weitere Linien und experimentierte ausserdem mit unterschiedlichen Druckfarben und Papierformaten. Diese Experimente sind bei Raetz integraler Bestandteil seiner künstlerischen Konzeption. Für die hier vorliegende Farbvariante verwendete er vier Platten, die er mit Schmirgelpapier bearbeitete und in Preussischblau, Ockergelb, Türkisgrün und Sepiagelb einfärbte.

Allein durch die wechselnde Ausrichtung der wellenartig über die Platte gezogenen Linien sowie deren unterschiedliche Einfärbung gelingt es Raetz, die Berg- und Hügelketten auf gekonnte Weise in die Bildtiefe hinein zu staffeln und zusätzlich einen Eindruck von Luftperspektive zu erzeugen.

Neben Berglandschaft befinden sich mit dem Blatt Jim Strong & John Kling (1976) und dem Plakat zur Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern (1977) zwei weitere Werke des Künstlers in der Sammlung des Kunstmuseums Thun. Bei Jim Strong & John Kling handelt es sich um einen Holzschnitt, ein in Raetz‘ Œuvre sehr seltene Technik, zog er doch die flexiblere Radiertechnik allen anderen künstlerischen Drucktechniken vor. Als Inspiration für diese Arbeit dienten ihm zwei populäre Detektiv-Figuren aus Groschenheften.

Das Plakat zu seiner Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern von 1977 entstand in der Siebdrucktechnik, die Raetz zugleich als Ausgangsidee für die Gestaltung des Plakats verwendete. Der Siebdruck basiert auf einem feinen, farbigen Punkteraster aus Magenta, Cyan, Gelb und Schwarz, welches in entsprechender Kombination und mit genügend Sehdistanz ein farbiges Bild ergibt. Raetz jedoch vergrösserte das Punkteraster dermassen stark, dass das Selbstporträt in scheinbar zusammenhangslose farbige Punkte zerfällt. Das Brustbild des Künstlers ist daher lediglich noch zu erahnen. Augenzwinkernd unterläuft er dabei den Wiederkennungswert des Porträts und den damit verbundenen Werbeeffekt für seine Person. Nicht mehr Raetz‘ Aussehen steht im Zentrum dieser Arbeit, sondern sein kreativer Umgang mit dem Siebdruckverfahren. Technik und Motiv verbindet er hier also auf kongeniale Weise.

Bei seinen ersten druckgrafischen Versuchen wird Markus Raetz Ende der 1950er-Jahre vom Tessiner Künstler Peter Travaglini angeleitet. Dieser führt ihn in verschiedene druckgrafische Techniken ein. Während sich Raetz in den Anfängen vornehmlich mit Linol- und Holzschnitt beschäftigt, entwickelt er im Laufe der Jahre eine Arbeitsweise, die ihm ein weites Versuchsfeld eröffnet. Ständig erprobt er neue technische Möglichkeiten, indem er etwa mit unkonventionellen Materialien wie Gummi, Zelluloid, Sagex und Pavatex experimentiert. Die Druckgrafik bleibt denn auch lange eines seiner zentralen Arbeitsfelder. Denn oft entwickelt sich bei ihm – wie im Plakat zur Ausstellung in der Berner Kunsthalle – aus der jeweiligen druckgrafischen Technik die Wahl des Sujets.

In der Sammlung des Kunstmuseums bilden druckgrafische Werke aus den letzten Jahrhunderten einen wichtigen Schwerpunkt. Darunter befinden sich auch einige Künstler:innen, die sich über längere Zeit der Druckgrafik widmeten. Neben Markus Raetz beschäftigten sich mit Marguerite Saegesser und Ernst Ramseier zwei weitere Künstler:innen aus dem 20. Jahrhundert intensiv mit der Druckgrafik.

Während Raetz mit verschiedenen Materialien operiert, fokussiert sich die Berner Künstlerin Marguerite Saegesser auf die Technik der Monotypie. Diese steht in künstlerischer Hinsicht lange auf unterster Stufe, geniessen Radierung oder Holzschnitt bei den Kunstexpert:innen doch ein weitaus höheres Ansehen. Monotypien stellen einen Sonderfall innerhalb der Druckgrafik dar, da sie nur als Unikate existieren. Für ihre Herstellung wird Farbe auf eine unbedruckte Platte aufgetragen, die dann mit einem feuchten Papier durch eine Druckpresse läuft, wobei ein Bild entsteht.

Saegesser schätzte dieses Medium als Ausdruck malerischer Impulse. Die Künstlerin verfeinerte zudem ihre Technik zunehmend und brachte ihre bildhauerischen Erfahrungen mit ein. So ist die Qualität und die Haptik des Papiers für Saegesser essenziell, da sie darin auch ein wichtiges Ausdrucksmittel sieht. Die Bildproduktion mit der Monotypie ist für Saegesser ein Prozess des ständigen Experimentierens und Überarbeitens.

Ernst Ramseier hingegen bevorzugt den Holzschnitt als künstlerisches Ausdrucksmittel. Während einer frühen Studienreise nach Südfrankreich, die Ramseier gemeinsam mit seinen Künstlerkollegen Etienne Clare und Knud Jacobsen unternimmt, kommt er erstmals mit dieser Hochdrucktechnik in Berührung. Als Vorbilder dienen ihm dabei expressionistische Holzschnitte von Ernst Ludwig Kirchner, Ignaz Epper oder Emil Nolde.

In der Technik des Holzschnittes vereinen sich handwerkliches und künstlerisches Können. Die einzelnen Schritte – von der Bildidee, über den Entwurf und die Herstellung des Druckstocks bis hin zum fertigen Druck – erlauben Ramseier eine grosse Gestaltungsfreiheit. Zudem impliziert die elementare und ohne chemische Prozesse auskommende Machart des Holzschnittes die Fokussierung auf das Wesentliche. Eigenschaften, die Ramseier entsprachen und in denen er eine ideale Möglichkeit sah, seine subjektiven Eindrücke und Assoziationen künstlerisch auszudrücken.