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Drei Fragen an Christian Helmle

Im Februar 2022 widmet das Kunstmuseum Thun dem Thuner Fotografen Christian Helmle eine umfassende Einzelausstellung. Helmle setzt sich in seinem künstlerischen Werk mit Themen wie Natur, Architektur, Menschen, Strukturen und Topografien auseinander. Die Ausstellung zeigt einen Einblick in sein OEuvre und präsentiert neben früheren Arbeiten, die für sein Schaffen exemplarisch sind und selten ausgestellt wurden, u.a. eine neue Werkserie, in der der Fotograf die Reportage- mit der Architekturfotografie verbindet. Auch einige Werke aus der Sammlung werden zu sehen sein.

Christian Helmle, Biotürme (Weisse Elefanten), Lauchhammer (D), 2005

1 Was schätzt du an dem Medium Fotografie? Was hat dich dazu bewegt, Fotograf zu werden?

Bereits in den Siebziger Jahren interessierte ich mich für fremde Länder und Völker. Das Studium der Ethnologie, was ich begonnen hatte, war mir zu theoretisch. Ich wollte andere Länder und Kulturen direkt kennenlernen. Auf Reisen nach Westafrika hatte ich erstmals eine Spiegelreflexkamera zur Verfügung, mit der ich Landschaften und Menschen fotografierte. Es machte mir von Beginn an Freude, die Resultate waren vielversprechend. Dank dem positiven Feedback von Freunden und einem Onkel, der Kameramann beim Fernsehen war, kam ich auf die Idee, Fotograf zu werden. Rundum wurde mir abgeraten: Ein schwieriges Feld, es werde ein Traum bleiben. Dann wurde ich an der Fotoschule Vevey angenommen, wo ich das Handwerk von Grund auf erlernte. Die eher technische Ausrichtung zum Werbefotografen, die mir weniger lag, führte mich zur Reportage- und bald auch zur künstlerischen Fotografie. Mein Brot verdiente ich in der Anfangszeit als Taxifahrer und Fotojournalist. Die Neugier war, sowohl im Erwerbsleben wie auch in der freien Arbeit, ein wichtiger Faktor. Die Fotografie hat mir viele Welten geöffnet, mir Zugang zu verschiedensten Lebensbereichen verschafft, die mir sonst verborgen geblieben wären. Sie hat mich dazu gebracht, meine eher introvertierte Haltung als junger Mensch aufzubrechen, auf Leute zuzugehen und in die Welt hinaus zu treten.

2 Dein Werk umfasst verschiedene Themenfelder wie Natur, Architektur, Menschen, aber auch experimentelle Fotografie, Strukturen und Topografien. Wie entsteht die Idee für ein Bild, bzw. was weckt dein Interesse, ein Thema zu verfolgen?

Früher waren mir Bilder mit Menschen wichtig. Später kamen Landschaften und fraktale Strukturen dazu, Architekturthemen folgten. Ein Thema kann aus einem reinen Bauchgefühl auftauchen. Die äusseren Einflüsse sind manchmal subtil, manchmal offensichtlich. Die Weissen Elefanten (1999–2005), eine Serie über Bauten in Mitteleuropa, die nicht wie geplant funktionieren, wurden durch einen Artikel in einer französischen Zeitschrift angestossen. Dieser fiel bei mir auf fruchtbaren Boden, hatte ich doch schon immer eine Affinität zu geheimen Plätzen und zum Ruinösen. Das Finden und Erforschen besonderer Orte war stets eine starke Triebfeder. Die Serie wurde zu einem Buch, in dem auch Kraftwerke vorkamen. Daraufhin wurde ich für einen Vortrag zu einem Symposium über Energie-Architektur eingeladen. Um mich darauf vorzubereiten, fotografierte ich entsprechende Bauten. Daraus entstand wiederum ein Projekt, dass später zum Buch «Waterpower» (2012) führte. Beim Arbeiten vor Ort bin ich eher der schnelle Typ. Aber ich habe gelernt, mir für die Projekte Zeit zu nehmen. Es braucht die Beharrlichkeit, an einem Thema zu bleiben. So können sich Dinge entwickeln und verdichten. Nach einer gewissen Zeit – das können Jahre sein – spüre ich, dass es Zeit ist, einen Zyklus abzuschliessen und nach Aussen zu treten, mit einer Ausstellung oder einer Publikation.

Christian Helmle, Juchlibach, 2003

3 In der Ausstellung ist erstmals deine Werkserie Stadtmensch (2017–heute) zu sehen, in der du Menschen im urbanen Lebensraum fotografierst. Aber auch die tanzenden Derwische auf den Moulid-Festen in Kairo (1993, 1995) wurden auf der Strasse aufgenommen. Wie ist es, Menschen im öffentlichen Raum zu fotografieren? Wie sind die Reaktionen, wenn du wahrgenommen wirst? Gibt es Unterschiede zu damals und heute oder vielleicht sogar zwischen Regionen und Ländern?

In Kairo zu fotografieren hiess damals wie heute, sich auszusetzen. Viele Objekte im öffentlichen Raum darf man nicht aufnehmen. Du wirst auf der Strasse immer von Menschen bemerkt. Manche Ägypter glauben, ich raube ihnen mit einer Fotografie einen Teil ihrer Seele, andere reagieren mit Bemerkungen wie «Das ist hier verboten». Wiederum andere sind interessiert, heissen dich willkommen und posieren gerne. An den Moulids geht es wild zu und her, in den sich bewegenden Menschenmassen ist Agilität entscheidend. In Europa wurde Fotografen früher vielleicht mehr Respekt entgegengebracht. Es war eher selten, dass auf der Strasse fotografiert wurde. Klar gab es immer Leute, die zu verstehen gaben, dass sie nicht aufgenommen werden wollen. Das versuchte ich stets zu respektieren. Das neue EU-Recht untersagt das Fotografieren von Menschen ohne deren Einverständnis. Das ist in der Praxis nicht umsetzbar. Es würde den Tod der Street-Photography bedeuten. Ein Datenschutzspezialist hat mir geraten, das Fotografieren im öffentlichen Raum einfach so weiter zu betreiben, wie ich es gewohnt bin. Es ist aber schwieriger geworden: Viele Menschen sind misstrauisch, weil sie nicht wissen, in welchem Zusammenhang ich arbeite. Erkläre ich dann mein Konzept, ist es meistens OK. Seltsam, dass heute alle mit ihren Smartphones Aufnahmen machen und sich in den sozialen Medien darstellen, aber nicht fotografiert werden wollen.