Trudy Schlatter
Bildnis Marlen Balmer, 1965
Mit scharfsinnigem Blick schaut uns das Mädchen beinahe herausfordernd an. Die feinen Gesichtszüge, die schmale Stupsnase und das Stück Ohr, das unter ihrem Seitenscheitel hervor blitzt, geben ihr fast einen neckischen Ausdruck. Zugleich lässt sich in ihren hellen Augen eine tiefe Melancholie erahnen. Es scheint, als sei ihr in ihrem jungen Leben schon einiges widerfahren. Dennoch sitzt sie ruhig und gesittet, die langen zarten Finger ihrer schmalen Hände brav im Schoss zusammengelegt. Unter dem purpurroten Pullover trägt sie eine hochgeknöpfte weisse Bluse mit rundem Kragen. Ihr braunes Haar ist artig zu zwei Seitenzöpfen geflochten. Die grossen taubenblauen Schleifen spiegeln die Farbe ihrer Augen. Die Lippen und die leicht geröteten Wangen nehmen den purpurnen Farbton des Pullovers auf. Trudy Schlatter porträtiert vorwiegend weibliche Personen unterschiedlichen Alters. Sie vermag in ihrem Werk eine sinnliche Nähe zu den Dargestellten zu schaffen und zugleich eine analytische Distanz zu wahren. Das Mädchen ist Marlen Ammon-Balmer, welche das Bildnis 2022 als Schenkung der Museumssammlung übergibt.
Laura Bohnenblust
Leichte Sprache
Das Mädchen sieht brav aus:
eine weisse, hoch-geschlossene Bluse,
länge Ärmel,
frisiertes Haar,
gefaltete Hände.
Aber ihr Blick fordert uns heraus.
Sie schaut uns direkt an.
Die blauen Augen spiegeln das Blau der Haar-Schleife.
Wangen und Lippen tragen Rot-Töne wie der Pullover.
So schafft die Künstlerin sinnliche Nähe.
Gleichzeitig bleibt die Distanz gewahrt.
Das Mädchen ist Marlen Ammon-Balmer.
Über 50 Jahre später schenkt sie das Bild dem Kunstmuseum Thun.
Sara Smidt