Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualiseren Sie auf Edge, Chrome, Firefox.

Kapitel 2

Als Leiterin einer privaten Malschule zwischen 1915 und 1931 war Marguerite Frey-Surbek in der Berner Kunstszene eine prominente Figur. Es ist demnach wahrscheinlich, dass sie von der um eine Generation jüngeren Trudy Schlatter durchaus wahrgenommen wurde. Womöglich kannten sich die beiden auch über gemeinsame Bekannte, etwa das Künstler:innenpaar Ruth und Fred Stauffer. Schlatter stellte ab Ende der 1940er-Jahre regelmässig an den Weihnachtsausstellungen der Kunsthalle Bern aus und engagierte sich politisch für die Frauenbewegung.

Bis ins 19. Jahrhundert bestand in der Malerei eine althergebrachte Hierarchie der Gattungen, die sich nur langsam aufweichte und an deren Spitze die Historienmalerei stand. Malerinnen betätigten sich meist in der wenig angesehenen Stillleben- oder Bildnismalerei, da diese – so die verbreitete Meinung – weniger Fertigkeit voraussetzte. Ungeachtet dessen waren Frey-Surbek und Schlatter ausgezeichnete Porträtistinnen, die es verstanden, das Wesen ihrer Modelle präzise zu erfassen. Schlatters hier ausgestelltes Bildnis Marlen Balmer zeigt ein in sich gekehrtes etwa 13jähriges Mädchen vor traditionell dunklem Grund. Die hellblauen Schleifen im Haar kontrastieren den rosa Pullover und rahmen das ausdruckslose Gesicht. Vielleicht war es gerade die leise Melancholie an der Schwelle zwischen Kind und Frau, die Schlatter für ihr Modell begeisterte. Das Gemälde wurde dem Kunstmuseum Thun von Marlen Ammon-Balmer 2022 geschenkt.

Das zweite Kapitel von Home Stories knüpft an das Gemälde von Marguerite Frey-Surbek an und schlägt eine Brücke zu Trudy Schlatter. Es fällt auf, dass beide Frauen ein hohes Bewusstsein für ihre Stellung als Künstlerinnen in der Gesellschaft hatten und sich um Eigeninitiative, Emanzipation und Unabhängigkeit bemühten. Zudem waren beide Mitglieder der Gesellschaft Schweizerischer Malerinnen, Bildhauerinnen und Kunstgewerblerinnen (GSMBK).

Marguerite Frey-Surbek hatte sich stets selbstsicher gegeben und sich früh entschieden, Künstlerin zu werden. Obwohl es nach der Heirat mit Victor Surbek 1914 unvermeidlich war, dass sie sich auch gesellschaftlichen Konventionen zu fügen und sich um den Haushalt zu kümmern hatte, suchte sie sich dennoch stets Zeit für die Kunst (was durch die kinderlose Ehe und die Unterstützung einer Haushaltshilfe in späteren Zeiten möglich war). Zuhause an der Junkerngasse 51 richtete sie sich ein eigenes Atelier ein, während Victor Surbeks Atelier sich ausserhalb der Liegenschaft befand. Neben der Kunst war Frey-Surbek auch politisch und sozial engagiert. Sie setzte sich für das Frauenstimmrecht ein, gründete 1909 den ersten Mädchenhort in der Länggasse und packte während des Zweiten Weltkriegs in Flüchtlingslagern mit an. Frey-Surbek war seit 1936 Teil der GSMBK. Zudem war sie von 1942 bis 1948 als zweite Frau Mitglied in der eidgenössischen Kunstkommission.

Nach ihrer Ausbildung zur Grafikerin und zeitweiliger Betätigung in der Werbung, widmete sich Trudy Schlatter ab 1940 autodidaktisch der Malerei und unterrichtete im 1939 von der Frauenzentrale Bern eröffneten Pestalozziheim in Bolligen als Zeichnungslehrerin. Schlatter war seit 1947 Mitglied der GSMBK und später lange Zeit im Vorstand. Nach ihrem Tod 1980 überliess sie ihre Wohnung in Montreux der GSMBK. Künstlerinnen sollten dort Studienaufenthalte oder Ferien verbringen, so Schlatters Idee. Die Wohnung wurde 1986 verkauft und mit dem Erlös 1987 der Sozialfonds Gertrud-Schlatter-Fonds GSMBK gegründet. Der Rest des Vermögens ging an die Kantonale Frauenzentrale in Bern. Schlatter war die explizite Förderung und Unterstützung von Fraueninitativen wichtig. Dennoch hielt sie einst fest, dass sie nicht an eine typisch weibliche oder gar feministische Kunst glaube, die sich essenziell von der männlichen abhebe. Unterschiede seien nur in der künstlerischen Sensibilität zu finden. (Semaine de la femme, Nr. 24, Juni 1952)

Beide Künstlerinnen, Frey-Surbek und Schlatter, zeigten ihre Werke regelmässig in den Ausstellungen der GSMBK. In Thun war zweimal eine Berner Sektionsausstellung der GSMBK zu sehen: Im Sommer 1956 organisierte die Künstlerin Elsa Stauffer mit dem Konservator Paul L. Ganz die jurierte Ausstellung. Vertreten waren in der Kategorie Plastik fünf Künstlerinnen, darunter Johanna Keller und Mariann Grunder. Bei Malerei und Mosaik zeigten 40 Künstlerinnen ihre Arbeiten, darunter Claire Brunner, Marguerite Frey-Surbek, Helene Pflugshaupt, Gertrud Rohrer, Trudy Schlatter, Anna Spühler, Ruth Stauffer oder Anny Vonzun. In der Kategorie Kunstgewerbe waren weitere 15 Künstlerinnen mit Keramik, Schmuck und Stoffarbeiten vertreten. Ein Raum wurde eigens zum Gedenken an Martha Stettler eingerichtet.

Zehn Jahre später fand erneut eine GSMBK-Ausstellung in Thun statt. Wiederum konnten die Mitglieder der Sektion Bern (zu diesem Zeitpunkt waren es 30 Aktiv- und 60 Passivmitglieder) ihre Werke für die jurierte Ausstellung vorschlagen. Diesmal gab es vier Kategorien: Plastik, Malerei und Grafik, Wandbehänge und Kunstgewerbe. Nunmehr 68 Künstlerinnen zeigten ihr Schaffen. Neben den oben erwähnten Künstlerinnen waren neu auch Lilly Keller, Verena Jaggi, Jakobea Stucki und Fridel Sonderegger mit dabei. 

Drei weitere Künstlerinnen wurden ausserhalb der Jurierung eingeladen: Nell Walden,Teruko Yokoi und Meret Oppenheim. Letztere wohnte zu dieser Zeit in Hünibach am Thunersee. In der Ausstellung zeigte sie unter anderem das Gemälde Drei Wolken über Kontinent, welches später durch das Depositum der Kunstsammlung des Kantons Bern wieder den Weg ins Kunstmuseum Thun fand.

Lesen Sie mehr zur Geschichte der GSMK hier.