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Die Liebe, die Trauer, die Zeit

16. Juli – 30. August 1998
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Mimmo Germana: Il poetico
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Kostabi
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Johann Heinrich: Bleuler Hechingen mit Hohenzollern um 1815
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Edi Brancolini

Eine Ausstellung zum Thema Melancholie und Eros in der Kunst der Gegenwart, Sammlung Murken

Melancholie und Eros als zwei grundlegende Befindlichkeiten menschlicher Existenz sind das Thema dieser Sonderausstellung, zu sehen im Kunstmuseum Thun vom 16. Juli bis 30. August 1998, die Axel und Christa Murken aus ihrer Kunstsammlung zusammengestellt haben. Das Aachner Sammlerpaar hat sich auf die Kunst seiner Zeit konzentriert und dabei Akzente gesetzt, die seinem persönlichen, kunst- und medizingeschichtlich geprägten Interesse am Menschen entsprechen. Der kunstgeschichtliche Rahmen für diese Ausrichtung ihrer Sammlung ist die erneute Hinwendung vieler Künstler zum Figürlichen und zum Menschen seit den 1960er Jahren, nachdem die westliche Kunst der Nachkriegszeit weitgehend von Abstraktion und Informel dominiert. Im Spiegel der jüngeren Kunst von 1965 bis heute reflektiert die Ausstellung Traditionen und Brüche eines alten Themas, das Künstler und Schriftsteller seit Jahrhunderten bewegt hat: Leibseelische Sehnsucht nach dem Ganzen und schmerzliches Leiden am Bewusstsein der eigenen Begrenztheit artikulieren sich auf vielfältige Weise in den rund 80 Werken von 40 Künstlern (Gemälde, Grafik, Fotografien, Objekte, Installationen). Manche der vertretenen künstlerischen Positionen werden bewusst in ihrer Gegensätzlichkeit aufeinander bezogen. So bilden die künstlich konstruierten puppenhaften Figuren Hans Bellmers und Karl Heidelbachs, hochartifizielle Vereinnahmungen des weiblichen Körpers durch einen einsamen männlichen Blick, eine Art Gegenpol zum Kunstkonzept von Joseph Beuys. Gerade aus dem Leiden, aus Grenz- und Todeserfahrung entwickelte Beuys in seiner stets am Stofflichen orientierten zeichenhaften „Realistik“ jene geistige Wärme des Handelns, die man auch Liebe nennen könnte und die ihm zum künstlerischen Handlungsantrieb schlechthin wurde. Arbeiten von Hans Bellmer sowie eine Gruppe von Objekten und Zeichnungen von Joseph Beuys bilden zusammen mit Werken von Ronald B. Kitai eine in den sechziger und siebziger Jahren verankerte Werkgruppe mit graphischem Schwerpunkt. Eine Vielzahl grossformatiger Gemälde aus den späten siebziger und achtziger Jahren spiegelt den Zustand einer Generation, die gerade in einer Zeit scheinbar grösster sexueller Freizügigkeit von existentiellen Ängsten, von Einsamkeit und Kälte gequält ist (u.a. Helmut Middendorf, Salomé, Norbert Tadeusz). Teilweise wird die beflügelnde schöpferische Kraft des Eros herabgezogen durch geradezu obsessive, vielfach vom Sexus bestimmte Bilder, die letztlich jedoch die Trauer um den Verlust des Du widerspiegeln. Einige Künstler, darunter Dieter Krieg und Hermann Nitsch, stellen den eigenen bedingungslosen künstlerischen Eros gegen die Welt der Ängste, in- dem sie ihre Bilder mit malerischer Vehemenz formulieren. Andere wie etwa Milan Kunc setzen auf einen ironisch spielerischen Umgang mit den grossen Themen und Traditionen. Manche Ikone männlicher Phantasien und Wunschbilder, zum Teil vorgetragen mit dem grellen Vokabular der Pop Art, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Schattenbild der Vergänglichkeit, indem der beglückende Augenblick im Bewusstsein seiner Flüchtigkeit wahrgenommen wird (Hermann Albert, Gerhard Richter, Bob Stanley). Vermeintliche Nähe schlägt in der künstlerischen Vermittlung in Distanz um, so in der Fotoinstallation des Japaners Noritoshi Hirakawa oder den „Compositions trouvées“ des Belgiers Guillaume Bijl. Eine Reihe besonders eindringlicher Arbeiten verdankt die Ausstellung Künstlerinnen wie Maria Lassnig und Elke Krystufek, die dem Typus des betrachtend sinnenden männlichen Künstler- Melancholikers (etwa bei Mimmo Germana) die weibliche Erfahrung des eigenen Körpers in sei- nem Ausgeliefertsein, seiner Gefährdung und Rätselhaftigkeit entgegensetzen. Aus ganz gegen- sätzlichen Richtungen suchen zwei Fotokünstlerinnen nach Bildern menschlichen Lebens: Einsamkeit und intime Nähe bestimmen die familiären Bilder aus dem Freundeskreis der amerikanischen Fotografin Nan Goldin, sensibel, fast sinnbildhafte Selbstinszenierung des Weiblichen die Komposition von Judith Samen. Als Wanderausstellung konzipiert, wurde „Melancholie und Eros in der Kunst der Gegenwart“ bereits im Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen und im Von der Heydt-Museum Wuppertal (Kunsthalle Barmen) gezeigt.